Sp/Gr
8.11.1943
Herrn
D[okto]r[ honoris causa] Stijn Streuvels
Ingoyghem bei Kortrijk / Belgien
Hochverehrter lieber Herr
D[okto]r Streuvels!
[1]
Ich nehme an, dass Sie meinen Brief vom 27.10. inzwischen erhalten haben.
[2] Ich vergass, Ihnen mitzuteilen, dass ich das von Ihnen auf Ihrer Karte vom 19.12. erbetene Buch (
Weiss "
Die Gegenwartsdichtung der europäischen Völker") beim Verlag
Junker & Dünnhaupt für Sie bestellt habe. Hoffentlich ist es noch lieferbar.
[3]
Der "
Flachsacker" ist hier um zwei Wochen verschoben worden und hat jetzt erst zu laufen begonnen.
[4] Ich habe ihn vorgestern gesehen und zwar mit ganz grossem Genuss. Soweit überhaupt eine Romandichtung in einen Film übertragen werden kann, ist dies hier geschehen, und ich muss sagen, dass Herr
Konrad Beste sehr gute Arbeit geleistet hat.
Die Rollen sind ganz vortrefflich besetzt, sowohl Wegener und Frau Koppenhöfer sind erstklassig. Ludwig ist vielleicht etwas "städtischer" gegeben, als ich ihn mir nach dem Roman gedacht habe, aber das erklärt sich ganz gut durch das neuaufgenommene Motiv, dass er die landwirtschaftliche Hochschule besucht hat. Ganz bezaubernd ist Bruni Löbel als Schellebelle. Sie hat so etwas kindlich Fröhliches und Reinliches, wie man es nur bei jungen Darstellern, die noch nicht verbraucht sind, findet, und ist eigentlich eine ideale Verkörperung der Rolle. Höchstens am Schluss, wenn der alte Bauer seinen Sohn niederschlägt, ist sie dieser tragischen Szene noch nicht zo ganz gewachsen.
Hervorragend schön ist die ganze Landschaft eingefangen, und vortrefflich überhaupt die ganze Schilderung von Land und Leuten. Reizend die Szenen von dem bäuerlichen Brauchtum, so die Begrüssung an Ostern und die Innenaufnahmen.
Ganz grossen Spass hat mir natürlich Ihr eigenes Auftreten gemacht, und ich bedaure nur, dass diese Szene viel zu rasch [2]vorbeiging. So ist es mir bei dieser Gelegenheit auch nicht gelungen, Ihre Töchter unter dem Landvolk zu entdecken, und ich werde mir deswegen den Film noch ein zweites Mal ansehen. Ich weiss nicht, ob die Szenen bei dem Raufen des Flachses nicht ziemlich stark gekürzt oder, wie die Filmleute sagen, zusammengeschnitten sind. Ich habe das Gefühl, dass hier das Bild zu rasch wechselt; vermutlich hatte man Angst, das Ganze würde zu lang, aber das ist ein künstlerischer Mangel.
Ausgezeichnet finde ich den Gedanken des versöhnlichen Schlusses. Es wirkt durchaus plausibel, dass der harte Bauer durch das ungeheure Erlebnis gebrochen wird und nun nachgibt, dass also sozusagen nach diesem seelischen Winter wieder ein junger Frühling beginnen wird, wie es im Zuge der Jahreszeiten ja auch innerhalb des Buches der Fall ist. Das hat mich von Neuem auf den Gedanken gebracht, ob Sie sich nicht entschliessen sollten, auch im Buch selbst den Schluss zu ändern. Ich habe mit so vielen Menschen gesprochen, die den Flachsacker für eines der grossartigsten Werke erzählender Prosa überhaupt halten (genau so wie ich), aber alle sind sich darin einig, dass der Schluss des Buches nicht überzeugend, ja dass er eben überhaupt kein Schluss sei, da der Leser mit einem Fragezeichen entlassen wird.
Im Grunde genommen zeigt uns das Leben eben doch immer wieder, dass es selber, nämlich dieses Leben, weitergeht und dass das Alte irgend einmal dem Jungen Platz machen muss. Das ist ein Bild, wie wir es gerade heute in dieser furchtbar harten Zeit immer wieder sehen und erkennen müssen. So würde es mir denn nur sehr sinnvoll erscheinen, wenn auch der Roman selber diesen Gedanken zum Ausdruck brächte, dass also der alte Bauer dem Jungen zum Schluss dann doch die Herrschaft in die Hand drückt. Tatsächlich wäre es ja auch sinnlos, wenn Vermeulen Recht behalten würde. Ich glaube daher, ein Schluß in der Art, wie ihn der Film gibt, wäre mehr als nur ein billiges happy-end. Es wäre nichts anderes als der Sieg des Gerechten und auch der Sieg der Natur, die ja immer wieder neue Jugend hervorbringt und dieser hilft.
Mit herzlichen Grüssen stets in alter Verehrung
Ihr
(handtekening Adolf Spemann)