23.1.56
Herrn
D[okto]r Stijn Streuvels
Het Lijsternest
Ingooigem
Belgien
Hochverehrter lieber Herr D[okto]r Streuvels!
Haben Sie recht herzlichen Dank für Ihren so freundlichen Brief vom 13.1.
[1] Prächtig, dass wir nun genau wissen, wer alles auf der reizenden Familienaufnahme versammelt ist! Aber bisher haben wir nie von Ihnen gehört, dass Sie das Fest der Goldenen Hochzeit mit Ihrer verehrten Frau Gemahlin haben feiern können. Nehmen Sie hierzu auch heute noch unsere herzlichsten Glückwünsche entgegen. Wie schön ist es doch, dass Sie trotz so manchen gesundheitlichen Sorgen der letzten Jahre dieses seltene Fest miteinander begehen konnten! Der Sonnenschein solcher Feiertage leuchtet ja immer weit in die Zukunft und in den Alltag hinein.
Ferner habe ich Ihnen zu danken für das schöne grosse Foto mit Ihrer Unterschrift.
[2] Und heute schickte mir der
Elsevier-Verlag das kleine Buch von
André Demetz über Sie, worüber ich mich ebenfalls sehr gefreut habe, Ich werde es mit grossem Interesse lesen.
[3]
Anbei sende ich Ihnen die Abrechnungen über die beiden letzten Vierteljahre 1955.
[4] Die erste ergibt ein Guthaben von
D[eutsche ]M[ark] 14.65, die zweite ein solches von
D[eutsche ]M[ark] 54.82. Dann habe ich feststellen lassen, welches Gesamthonorar wir Ihnen schulden. Dabei ergibt sich folgendes:
1) Aus der Zeit von 1945 bis 20.8.1949
auf Sperrkonto D[eutsche ]M[ark] 7.736.23
(Guthaben auf Sperrkonto durften
bekanntlich bis vor einiger Zeit nicht
überwiesen werden, doch nunmehr sind sie
freigegeben worden.)
2) Aus der Zeit vom 1.10.1954 bis 31.12.1956
D[eutsche ]M[ark] 343.05
Zusammen also
D[eutsche ]M[ark] 8.079.28
Es wäre mir ein wirkliches Herzensanliegen, Ihnen diesen Gesamtbetrag sofort zu überweisen, aber zu meinem grössten Bedauern ist mir dies nicht möglich. Wie Sie wissen, ist ja der Verlag am 12.9.1944 durch Bomben völlig zerstört worden und die beinahe dreijährige Geschäfsführung des sogenannten Custodian
[5] hat unsere Firma an Rand des Ruins gebracht. In ständiger Arbeit haben wir uns bemüht, den Verlag wieder zur alten Grösse aufzubauen, aber leider ist dies nicht gelungen, obwohl uns der Badisch-Württembergische Staat und unsere Bank durch Kredite
[2]und Darlehen ihr Vertrauen gezeigt haben. Die wirtschaftliche Entwicklung in Westdeutschland ist ähnlich wie in Amerika: die grosskapitalistischen Firmen drücken die mittelgrossen Privatbetriebe an die Wand.
So muss ich die Hoffnung aufgeben, aus unserem Verlag wieder ein gut florierendes Unternehmen wie vor dem Krieg zu machen, und stehe in Verkaufsverhandlungen mit der altbekannten Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart. Es liegt mir in erster Linie daran, unsere Autoren in ein erstklassiges Haus zu überführen, das literarischen Rang besitzt, unbedingt vertrauenswürdig ist und über grosse Mittel verfügt. Dies alles ist bei der Deutschen Verlagsanstalt der Fall: zu ihren Autoren gehören Ortega y Gasset, Charles Morgan, Romain Rolland, Ina Seidel und andere. Die Mehrheit des Kapitals, wenn nicht das Ganze ist im Besitz von Robert Bosch.
Die Deutsche Verlagsanstalt will aber nur unsere Vorräte und Verlagsrechte, also die Verlagsverträge übernehmen, während uns die Regulierung der Schulden überlassen bleibt. Die von der Deutschen Verlagsanstalt gebotene Summe reicht aber nicht aus, um die Darlehen und Kredite zurückzuzahlen und die übrigen Schulden des Verlages ganz abzudecken.
So bitte ich Sie denn, hochverehrter Herr D[okto]r Streuvels, sich damit einverstanden zu erklären, dass wir Ihnen 65% Ihrer Honorarforderung an unsere Firma bezahlen und dass Sie auf die restlichen 35% verzichten. Sie würden im Falle Ihres Einverständnisses also 65% von D[eutsche ]M[ark] 8.079.28, nämlich D[eutsche ]M[ark] 5.251.53 oder aufgerundet D[eutsche ]M[ark] 5.300.- erhalten. Mit dieser Zahlung könnten Sie wahrscheinlich im Laufe des März, wenn nicht früher, rechnen, also sobald uns die Deutsche Verlagsanstalt bezahlt hat. Im Falle eines Konkurses wäre natürlich mit einem wesentlich geringeren Betrag zu rechnen. Und man hätte dann keinen Einfluss darauf, welcher Verlag die Verlagsrechte übernimmt. Es fällt mir ausserordentlich schwer, Ihnen dies schreiben zu müssen, denn Sie wissen ja, wie eng ich mit Ihrem Lebenswerk verbunden bin und wie hoch ich die Ehre einschätze, Ihr deutscher Verleger zu sein. Aber die Verhältnisse sind in diesem Falle stärker.
Ich selbst beabsichtige, ganz zurückzutreten, und mein Sohn will trotz seinen 36 Jahren in einen anderen Beruf übergehen, weil die Gefahren für einen belletristischen Verlag in Deutschland heute allzugross sind, wenn nicht ein ausserordentlich grosses Eigenkapital dahinter steht. Dies aber haben wir eben durch den Krieg verloren.
Für Ihre baldige Zustimmung wären mein Sohn und ich Ihnen herzlich dankbar. Sobald der Abschluss mit der
Deutschen Verlagsanstalt perfekt ist, werden wir Sie selbstverständlich sofort benachrichtigen.
[6]
Stets in alter Verehrung
Ihr ergebener
(handtekening Adolf Spemann)
(Dr. Adolf Spemann)
Anlage.