Den 30.3.1937
Herrn Stijn Streuvels
Ingoyghem
bei Kortrijk
Hochverehrter Herr Streuvels!
Ich habe Ihnen noch herzlich zu danken für Ihren Brief vom 21. März und Ihre so freundliche Zustimmung zu meinen Vorschlägen.
[1] Was Sie über Mira und Maurice schreiben, hat mich natürlich sehr interessiert und amüsiert. Heute schickte mir nun Herr
D[okto]r Jacobs die Änderung des Schlusses in seiner Übersetzung, und ich finde das in dieser Form viel besser!
[2]
Herr Jacobs ist auch mit meiner Kritik an der Übersetzung der Lieder ganz einverstanden und wird sie neu übersetzen. Nun zu den anderen Dingen:
Wunderlich.
[3] Da will ich sehr gerne vermitteln. Ich werde noch heute an
Leins schreiben und denke, er wird Ihnen sicher gern diesen Gefallen tun. Herr
Leins persönlich ist viel auf Geschäftsreisen, aber wir werden die Sache schon irgendwie zustande bekommen.
[4]
Vor acht Tagen hat hier Felix Timmermans zum ersten Mal gelesen und zwar mit recht gutem Erfolg. Er macht das sehr geschickt, indem er zunächst aus seinem Leben erzählt oder wenigstens „so tut”; in Wirklichkeit liest er auch diesen autobiographischen Teil vor, doch wirkt es beinahe wie frei erzählt, und so ist denn sehr bald ein Kontakt mit den Hörern [2]hergestellt. Dann machte er eine Pause von etwa zehn Minuten, und während dieser Pause strömte eine Menge junger Leute, die sich Timmermanssche Bücher gekauft hatten, in das Solistenzimmer, um sich dort diese Bücher signieren zu lassen. Nach dieser Pause las er dann noch einige Abschnitte aus seinen Büchern. Der ganze Abend dauerte etwa anderthalb Stunden. Zum Schluß setzte er sich dann noch an einen kleinen Tisch, den ein Buchhändler mit Timmermansschen Büchern aufgebaut hatte, und gab wiederum Unterschriften. Ich hörte nachher, daß recht gut verkauft worden sein soll.
Nach dieser Veranstaltung war ich dann noch mit dem betreffenden Buchhändler, dem hiesigen Gaukulturwart D[okto]r Schmückle und Timmermans in einer kleinen Stuttgarter Kneipe zusammen, wo Schiller verkehrt hat, und lernte Timmermans kennen. Wir kamen natürlich sofort auf Sie zu sprechen, ebenso auch auf Frau Valeton, die er am Tag vorher gesehen hatte, da er in Würzburg gelesen hatte. Ich habe wieder so recht gesehen, daß ein großer Teil des starken Absatzes der Timmermansschen Bücher von seiner geschickten Art der mise-en-scène herrührt. Außerdem aber liegt der Grund natürlich noch tiefer: T[immermans] hält sich grundsätzlich immer nur im Sonnenschein auf, vermeidet den Schatten und geht vorsichtig an allen Abgründen vorbei. Nun, das wissen Sie ja alles selber viel besser als ich, aber es wird Sie sicher interessieren, wie dieser Erfolg zustande gekommen ist.
Ich erzähle Ihnen das nun weiß Gott nicht etwa als Vorbild, denn Sie haben das ja gar nicht nötig. Trotzdem wäre es schön, wenn im Herbst oder Winter nach Vollendung des neuen Romans
[5] eine Vorlesungsreise in Deutschland möglich wäre.
[6]
Vorher aber kann ich Ihnen einen wirklich sehr reizenden Vorschlag machen, der den Vorzug hat, originell zu sein [3](ich darf das sagen, weil er nicht von mir stammt): Eine große Gruppe von jungen Buchhändlern im Rheinland und Westfalen will am 29./30 Mai oder 5./6. Juni eine zweitägige Studienfahrt nach Flandern machen und möchte damit eine kleine Wallfahrt zu dem von ihnen so außerordentlich verehrten Dichter Streuvels verbinden. Ich habe den jungen Leuten heute geschrieben, ich sei bereit, bei Ihnen zu vermitteln und Sie zu fragen, ob diese Gruppe von jungen Buchhändlern so vielleicht für 2-3 Stunden Sie besuchen darf. Es gibt ein schönes deutsches Sprichwort, das Sie vielleicht kennen: "Kommt der Berg nicht zum Propheten, so kommt der Prophet zum Berge". Um ganz korrekt zu sein, müssen wir statt "Prophet" also in diesem Falle sagen: "Apostel". Denn diese jungen Leute sind tatsächlich nichts anderes als Apostel des Buches: sie stehen den ganzen Tag hinter dem Ladentisch, und in ihre Hände ist es gegeben, welches Buch ein unentschlossener Käufer erwirbt. Tatsächlich sind heute die deutschen Buchhandlungsgehilfen noch viel wichtiger als die Geschäftsinhaber, und sie sind von großem Idealismus und Eifer erfüllt. Der riesige Erfolg von deutschen Schriftstellern wie Ernst Wiechert kommt zum großen Teil davon her, daß er auf seinen Vorlesungen nachher mit den jungen Buchhändlern zusammensitzt, was natürlich eine gehörige Anstrengung ist, die ich Ihnen nicht zumuten würde. Aber einen solchen einmaligen Überfall auf dem Lijsternest lassen Sie sich vielleicht ganz gern gefallen.
Der Anführer dieser jungen Schar ist Herr Ludwig Litt[4]mann in Wuppertal-Elberfeld (wo Sie damals mit Herrn Nimtz in der Buchhandlung Grüttefien bei Herrn Nettesheim gewesen sind, doch ist Herr Littmann nicht bei Nettesheim, sondern in der Buchhandlung Baedeker beschäftigt, die viel wichtiger ist). Er hat sich die Sache so gedacht: ob Sie sich vielleicht bereit finden lassen würden, den jungen Buchhändlern ein wenig aus Ihrem Leben und Ihren Anfängen zu erzählen, und dann vielleicht ein wenig aus einer der deutschen Übersetzungen Ihrer bei uns erschienenen Bücher vorzulesen, vielleicht aus "Prütske", was ja besonders hübsch wäre, weil dieses Buch doch auf dem Lijsternest spielt.
Selbstverständlich kommt eine Bewirtung oder etwas Derartiges gar nicht in Frage, denn ich nehme doch an, daß es sich um mindestens 20 junge Leute handeln würde. Sicherlich würde Herr Littmann dann einen durch den ganzen Buchhandel in Deutschland laufenden Bericht über diese Fahrt schreiben, und ich brauche ja wohl nicht zu betonen, wie stark diese Reklame wäre. Der Jungbuchhandel ist jetzt ganz straff organisiert, und ich bin überzeugt, diese Wallfahrt der deutschen Jugend zu dem flämischen Dichter würde einen ungeheuren Eindruck machen.
Bitte schreiben Sie mir, ob ich Herrn
Littmann eine Zusage geben darf.
[7]
Zum Schluß noch einmal die Weihnachtsgeschichten.
Ich bin von meinen Freunden, mit denen ich über den geplanten Band gesprochen habe, darauf aufmerksam gemacht worden, daß "Letzte Nacht" mit seinem durchaus tragischen erschütternden Inhalt etwas aus dem Rahmen des Ganzen falle und daß gerade dadurch das Buch sich nicht so recht als Weihnachtsgeschenk eigne. Ich kann das nicht bestreiten und muß es eigentlich zugeben. Das kleine Werk ist zwar großartig, [5]wird aber doch viele Leute davon abhalten, dieses Buch zu verschenken. Ich möchte daher vorschlagen, "Letzte Nacht" wegzulassen, so daß dann also der Band lediglich "Die drei Könige an der Küste", "Christmette im Niemandsland", "Weihnachten in einem flandrischen Stall", "Christkind" und "Großmütterchen" enthalten würde. Er ist dann tatsächlich außerordentlich schön einheitlich und verspricht wirklich durchschlagenden Erfolg.
An der Höhe des Honorars würde sich dadurch ja nichts ändern, nur würde
Langen-Müller weniger erhalten, da "
Christkind" ja nur 32 ½ % des Gesamtumfangs ausmacht. Auch wird der Band genau so stattlich wie "
Prütske", und der Preis würde voraussichtlich
R[eichsmark] 4.80 betragen wie beabsichtigt.
[8]
Mit recht verspäteten, aber nicht minder herzlichen Osterwünschen
[9] an die ganze Familie
Lateur bin ich
Ihr stets verehrungsvoll ergebener
(handtekening Adolf Spemann)